Wien (pts/08.06.2017/09:00)
"Dass sich
LDL-Cholesterin mit den seit kurzem verfügbaren PCSK9-Inhibitoren
dauerhaft um mehr als 50 Prozent senken lässt, wussten wir. Unklar war,
ob diese radikale Reduktion für Patientinnen und Patienten sicher ist
und ob der Abbau von LDL-Cholesterin auch tatsächlich zu einer
Reduzierung von Herzinfarkten und anderen kardiovaskulären Ereignissen
führt. Inzwischen liegen zwei große internationale Studien vor, mit
denen sich beide Fragen mit einem klaren 'Ja' beantworten lassen." Das
berichtet Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Siostrzonek (Ordensklinikum Linz)
auf einer Pressekonferenz anlässlich der ÖKG-Jahrestagung 2017.
Für die globale FOURIER-Studie (Further Cardiovascular OUtcomes
Research with PCSK9-Inhibition in Subjects with Elevated Risk) wurden
mehr als 27.500 Risiko-Patienten mit einer Koronaren Herzererkrankung
(KHK) untersucht. 81 Prozent hatten bereits einen Herzinfarkt und 19
Prozent einen Schlaganfall erlitten. Mit den verabreichten, meist sehr
hoch dosierten Statinen war es lediglich gelungen, den
durchschnittlichen LDL-Wert auf 92 Milligramm/Deziliter (mg/dl) zu
senken. "Ein leitliniengerechtes Behandlungsziel ist in solchen Fällen
eine Senkung auf zumindest 70mg/dl - ein Wert, den trotz Statinen und
diätischen Maßnahmen nur wenige Patienten erreichen", so Prof.
Siostrzonek. "Während die LDL-Werte in der Placebogruppe konstant beim
Ausgangswert blieben, sanken sie in der Gruppe der mit PCSK9-Inhibitoren
Behandelten im Durchschnitt auf 30 mg/dl."
Humane Antikörper senken Herzinfarkte und Schlaganfälle radikal
Im 26 Monate dauernden Studienzeitraum gingen auch die Todesfälle,
nicht tödlichen Herzinfarkte und Schlaganfälle in der PCSK9-Gruppe
deutlich zurück. Während eines dieser Ereignisse bei 5,9 Prozent der mit
Antikörpern behandelten Patienten auftrat, waren in der
Vergleichsgruppe 7,4 Prozent davon betroffen, also um 25 Prozent mehr.
Zählt man zu diesen harten Endpunkten noch die Einweisungen mit
instabiler Angina Pectoris und erneut notwendig gewordene
Gefäßaufdehnungen dazu, zeigte sich in der PCSK9-Gruppe immer noch eine
Risikoreduktion um 15 Prozent.
Positive Effekte nehmen mit Behandlungsdauer zu - Neues Motto: "The lower - the better"
Es zeigte sich, dass die Patienten umso mehr profitieren, je länger
die Behandlung dauert. Während Herzinfarkte und Schlaganfälle im ersten
Jahr um 19 Prozent gesenkt werden konnten, betrug der Rückgang im
zweiten bereits 33 Prozent. Prof. Siostrzonek: "Es wird interessant sein
zu sehen, ob sich dieser Trend in späteren Studien mit längerer
Laufzeit weiter fortsetzt."
Diese Studie bringe die eindeutige und konsistente Evidenz, dass
LDL-Cholesterin nicht nur einen Biomarker darstellt, sondern ursächlich
an der Entstehung der Arteriosklerose beteiligt ist. Prof. Siostrzonek:
"Und sie zeigt, was es bringen kann, das LDL so radikal wie möglich zu
senken. Das neue Motto muss also lauten: The lower - the better."
PCSK9-Hemmer bauen Plaque ab
In einer weiteren Arbeit konnten die Autoren nachweisen, dass die
neuen Medikamente nicht nur die Progression einer Arteriosklerose
verhindern, sondern auch öfter vorhandene Verengungen wieder abzubauen
helfen. Für die GLAGOV-Studie wurden rund 1.000 Patienten untersucht,
von denen die eine Hälfte eine herkömmliche Statin-Therapie, die andere
zusätzlich PCSK9-Hemmer bekam. Zu Beginn wurde mittels Ultraschall
gemessen, wieviel Plaque sich an den Herzgefäßen bereits angesammelt
hatte. Nach 18 Monaten wurde diese Untersuchung wiederholt. Während es
in der Placebo-Gruppe bei 47,3 Prozent zu einer Plaque-Regression
gekommen war, konnte das in der Verum-Gruppe bei 64,3 Prozent gemessen
werden.
Behandlung mit Antikörpern ist sicher
Umso erfreulicher, dass sich herausgestellt hat, dass die Behandlung
mit humanen Antikörpern vollkommen sicher ist, berichtet Prof.
Siostrzonek. Abgesehen von vereinzelten Hautreaktionen an der
Injektionsstelle traten keine nennenswerten Nebenwirkungen auf. Da
Cholesterin unter anderem auch beim Signalaustausch zwischen
Nervenzellen eine Rolle spielt, war eine der Befürchtungen, dass eine zu
radikale Lipidsenkung zu Lasten der kognitiven Leistungsfähigkeiten
gehen könnte. In der mit einem Teil der FOURIER-Patienten durchgeführten
EBBIBINGHAUS-Studie hat sich allerdings gezeigt, dass weder das
Arbeitsgedächtnis noch die Gedächtnisfunktion oder die psychomotorische
Geschwindigkeit durch die LDL-Senkung beeinträchtigt wurden.
Sparzwang verhindert, dass Innovationen bei Patienten ankommen
"Derzeit ist es leider so, dass diese wichtige Innovation aufgrund
der restriktiven Verschreibungsrichtlinien nur wenigen Patienten zugute
kommt", kritisiert kritisiert Prof. Siostrzonek. Bislang decken sich die
Erstattungsbedingungen des Hauptverbandes nicht mit den
Zulassungsbedingungen und den aktuell gültigen und international völlig
unstrittigen Behandlungsleitlinien. Denen zufolge sollten
KHK-Risikopatienten einen LDL-Spiegel von unter 70 mg/dl erreichen.
Trotzdem dürfen die neuen Medikamente bei uns erst verschrieben werden,
wenn der Wert über 100 liegt.
"Der Grund dafür liegt auf der Hand: Noch sind diese neuartigen
Präparate vergleichsweise teuer. Das ist auch uns Ärztinnen und Ärzten
bewusst und im Interesse unserer Patienten sind wir die ersten, die für
eine gewissenhafte Abwägung der Kosten-Effektivität eintreten", so
kritisiert Prof. Siostrzonek. "Dennoch ist es derzeit so, dass
ausgerechnet Kardiologen diese neuen Medikamente nicht selbst
verschreiben dürfen, sondern ihre Patienten zur Genehmigung an ein - je
nach regionalen Gegebenheiten oft weit entferntes - Stoffwechselzentrum
überweisen müssen. Das ist eine auf der ganzen Welt einzigartige
Vorgangsweise, die die Behandlung erschwert oder verunmöglicht und für
die wir Kardiologen kein Verständnis haben."
Quellen:
- Evolocumab and Clinical Outcomes in Patients with Cardiovascular
Disease, N Engl J Med 2017; 376:1713-1722May 4, 2017DOI:
10.1056/NEJMoa1615664
- Effect of Evolocumab on Progression of Coronary Disease in
Statin-Treated PatientsThe GLAGOV Randomized Clinical Trial; JAMA.
2016;316(22):2373-2384. doi:10.1001/jama.2016.16951Evaluating PCSK9
Binding antiBody Influence oN coGnitive HeAlth in High cardiovascUlar
Risk Subjects (EBBINGHAUS), Medscape 21.3.2017